Ein Astronom, ein Physiker und ein Mathematiker machten
einst Ferien in Schottland. Vom Zugfenster aus sahen sie inmitten
einer Wiese ein schwarzes Schaf stehen. »Wie interessant
«, bemerkte der Astronom, »alle schottischen Schafe sind
schwarz!« Darauf antwortete der Physiker: »Nein, nein! Einige
schottische Schafe sind schwarz!« Der Mathematiker rollte seine
Augen flehentlich gen Himmel und verkündete dann: »In
Schottland gibt es mindestens eine Wiese mit mindestens einem
Schaf, das mindestens auf einer Seite schwarz ist.«
Die Naturwissenschaft funktioniert ähnlich wie das Rechtswesen.
Eine Theorie wird dann für wahr gehalten, wenn genug
Belege vorhanden sind, die sie »über jeden vernünftigen Zweifel
hinaus« beweisen. Die Mathematik dagegen beruht nicht auf fehlerbehafteten
Experimenten, sondern auf unfehlbarer Logik. Das
läßt sich am Problem des »unvollständigen Schachbretts« zeigen
Wir haben hier ein Schachbrett, dem zwei schräg gegenüberliegende
Eckfelder fehlen, so daß nur 62 Quadrate übrig sind. Nehmen
wir nun 31 Dominosteine, mit denen wir paßgenau jeweils
zwei Quadrate abdecken können. Die Frage lautet jetzt: Ist es
möglich, die 31 Dominosteine so zu legen, daß sie alle 62 Quadrate
des Schachbretts abdecken?
Für dieses Problem gibt es zwei Lösungsansätze:
(1) Der naturwissenschaftliche Ansatz
Der Naturwissenschaftler würde das Problem durch Experimentieren
zu lösen versuchen und nach ein paar Dutzend verschiedenen
Anordnungen der Dominosteine feststellen, daß keine von ihnen
paßt. Am Ende glaubt er hinreichend nachgewiesen zu haben,
daß das Schachbrett nicht abgedeckt werden kann. Der Naturwissenschaftler
kann jedoch nie sicher sein, daß dies auch wirklich der
Fall ist, weil es eine Anordnung von Steinen geben könnte, die
noch nicht ausprobiert wurde und das Problem lösen würde. Es
gibt Millionen verschiedener Anordnungen, und nur ein kleiner
Teil von ihnen kann durchgespielt werden. Der Schluß, die Aufgabe
sei unmöglich zu lösen, ist eine Theorie, die auf Experimenten
beruht, doch der Wissenschaftler wird mit der Tatsache leben müssen,
daß die Theorie vielleicht eines Tages über den Haufen geworfen
wird.
(2) Der mathematische Ansatz
Der Mathematiker versucht die Frage zu beantworten, indem er
ein logisches Argument entwickelt, das zu einer Schlußfolgerung
führt, die zweifelsfrei richtig ist und nie mehr in Frage gestellt
wird. Eine solche Argumentation lautet folgendermaßen.
Die abgetrennten Eckfelder des Schachbretts waren beide weiß.
Daher sind noch 32 schwarze und 30 weiße Quadrate übrig.
Jeder Dominostein bedeckt zwei benachbarte Quadrate, und
diese sind immer verschiedenfarbig, das eine schwarz, das andere
weiß.
Deshalb werden die ersten 30 Dominosteine, wie auch immer sie
angeordnet sind, 30 weiße und 30 schwarze Quadrate des
Schachbretts abdecken.
Folglich bleiben immer ein Dominostein und zwei schwarze
Quadrate übrig.
Jeder Dominostein bedeckt jedoch, wie wir uns erinnern, zwei
benachbarte Quadrate, und diese sind immer von unterschiedlicher
Farbe. Die beiden verbleibenden Quadrate müssen aber
dieselbe Farbe haben und können daher nicht mit dem einen
restlichen Dominostein abgedeckt werden. Das Schachbrett
ganz abzudecken ist daher unmöglich!