Noch bevor sich der Mensch schriftlicher Symbole – also Zeichen für Zahlen und Operationen – bediente, versuchte er sich zunächst mit gegenständlichen Darstellungen. Der Gebrauch der Finger gehörte zu den ersten und populärsten Rechenhilfsmitteln. Neben dem Verständnis für die Zahlen verlangte dieses Rechnen viel Geschick und Fingerfertigkeit.


Fingerrechnen

Der Entwicklungsprozess des Rechnens mit Fingern lässt sich nicht genau zurückverfolgen. Die angewandten Praktiken vererbten sich wohl nur durch praktischen Gebrauch von einer Generation auf die nächste. Es ist aber zu vermuten, dass bereits in der Verwaltung der Pharaonenzeit wie auch im alten Griechenland und Persien das Fingerrechnen allgemein übliche Praxis gewesen ist. Um die Zeitenwende und noch einige Jahrhunderte danach erreichte das System der Fingerzahlen im ganzen römischen Reich seine höchste Stufe. Es kann angenommen werden, dass es weit verbreitet war und den Kaufleuten über alle Sprachgrenzen hinweg als Verständigungsmittel diente. Der erste Gelehrte, der sich um eine Niederschrift bemühte, war der englische Benediktinermönch Beda Venerabilis (um 673-735). In seinem Buch De ratione temporum lieferte er eine vollständige Erklärung der Fingerzählweise und geordnete Regeln für die Verfahrensweise bei dieser Rechenart. Mit den beiden Händen war man also in der Lage, alle Zahlen von 1 bis 9999 darzustellen. Das Fingerrechnen behauptete sich sehr lange neben dem Abakus und dem Rechnen mit den indisch-arabischen Ziffern, da es nicht nur das Abzählen oder die Addition bzw. Subtraktion ermöglichte, sondern auch höhere Rechenoperationen. Die Methode des Fingerrechnens war bei den Gelehrten derart populär, dass ein Rechenhandbuch nur dann als vollständig galt, wenn es eine Beschreibung dieser Methode enthielt. So ist es auch nicht verwunderlich, dass ein solch primitives Verständigungsmittel eine Erläuterung im Liber abaci erfuhr. Am Ende des ersten Kapitels findet sich ein ausgeklügeltes System von Fingerzahlen, wie es von Fibonacci als Hilfe für das Rechnen im Stellenwertsystem geschätzt wurde. Die Fertigkeiten des Fingerrechnens erhielten sich in verschiedenen Kulturkreisen über einen langen Zeitraum, da sie immer ein gut funktionierendes und bewährtes Rechenhilfsmittel waren. Im mitteleuropäischen Raum wurden sie erst durch den Sieg des schriftlichen Rechnens mit den indisch-arabischen Ziffern in den Hintergrund gedrängt.

Abb. aus: Luca Pacioli, Summa de arithmetica, geometria, proportioni et proporzionalità. Tusculano, 1523. Signatur: 72520

Quelle:http://www.library.ethz.ch/exhibit/fibonacci/fibonacci-poster-02-fingerzahlen.html>

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